Teil 1 - Der Felsen

Seine Berechnungen waren richtig gewesen. Der Felsen war tatsächlich genau dort im Wald gelandet, wo er ihn vermutet hatte. An der Universität in Karaedin hatten sie nur gelacht. Erst hatten alle in Zweifel gezogen, dass seine Beobachtungen stimmten, dann dass seine Berechnungen Sinn machten. Er konnte nicht verstehen warum. Nur weil es wolkig gewesen war, hieß es noch nicht, dass er sich das Licht am Himmel - die Sternschnuppe - eingebildet hatte. Nur weil es gestürmt hatte, hieß es nicht, dass der Meteor nicht durch den Nachthimmel gejagt sein konnte. Selbst wer gewillt war, seine Gleichungen anzusehen, hatte sie für falsch befunden. Ein Meteor konnte nicht gleichzeitig für ihn auf der Sturm umtosten Spitze der Stadt Karaedin gesehen werden und danach noch tausende Meilen weiter geflogen sein. Dazu müsste er schon viel zu tief gewesen sein. Und leider half es wenig, dass alle anderen der Studenten an diesem Abend vollkommen betrunken waren. Sie alle hatten sich nur vor Regen und Blitzen unter das Vordach der geschlossenen Sternwarte geflüchtet.

Doch wie er jetzt ganz klar sah, war auch die Position an der der Meteor aufgeschlagen war die richtige. Er war den ganzen Sommer über aus dem Süden unterwegs gewesen. Hatte ein Schiff bestiegen, um dann von Genidve im Süden Öniphiens bis fast nach Trimopelos zu wandern. Jetzt endlich stand er vor seiner Entdeckung. Dort vor im auf einer Waldlichtung lag, was er hier vermutet hatte. Es war leicht zu finden gewesen, da die Lichtung vorher noch nicht hier gewesen war. Es war leicht zu finden gewesen, dass einige der Bäume umgeknickt waren. Alexander Witbold hatte sich vollkommen geirrt.

Er hatte den Stein nicht durch Brandgeruch gefunden. Nicht aber, weil der Brand vor einigen Monaten stattgefunden hatte. Sondern, weil kein Brand stattgefunden hatte. Keine Spur von Asche, vom Feuer oder Russ. Nicht im Wald oder an dem Felsen. Er hatte den Stein nicht gefunden, weil die Bäume durch den Aufprall in einem gewaltigen Umkreis umgefallen waren. Weil man den Knall noch in Trimopelos oder sogar in Genidve gehört hatte. Nein, wenn er den Fels nach den Auswirkungen der Druckwelle, den Verheerungen eines Feuers gesucht hätte, so wäre er jetzt tot. Der ganze Planet wäre in diesem Fall Jahrzehnte unter einer Asche- und Staubwolke begraben. Die Menschheit vernichtet.

Alexander musste der Tatsache in die Augen sehen. Es war einfach kein Fels. Kein Brocken Stein. Es war ein Berg. Vor ihm ragte ein gewaltiger, hunderte Schritt langer, Gigant in den Himmel. Spitzen aus schwarzen Stein zogen sich wie gedrehte Türme in den Himmel hinauf. Der Fels war glatt und gerade an den Seiten, so als sei er bearbeitet und poliert worden. Aber Alexander interessierte im Augenblick weniger das Aussehen dieses Berges. Er fragte sich viel mehr wie er hier hergekommen war. Seine Berechnungen hatten wirklich nicht gestimmt und doch war er an der richtigen Stelle, an der er die Entdeckung seines Lebens machte.

Teil 2 - Der Professor

Alexander war noch immer vollkommen damit beschäftigt zu verstehen, was genau er dort vor sich sah und wie er falsch und doch richtig liegen konnte, als sich der blanke Fels vor ihm öffnete. Ein Wesen trat heraus, das mit nichts zu vergleichen war, dass der junge Mann je zuvor gesehen hatte. Die Augen waren winzig klein, aber dafür hatte es fünf Stück. Zwei auf langen Tentakeln, die sich ständig um seinen Kopf herum bewegten. Sie wanden sich in alle Richtungen hin und her, behielten die gesamte Umgebung im Blick. Die anderen drei wirkten komplett normal - eigentlich. Solange man sie einzeln betrachtete. Es sah so aus als habe dieses Wesen die Augen anderer Wesen gesammelt. Eines war nicht mehr als eine schwarze Pupille zum einfangen von Licht. Ein anderes sah fast menschlich aus, das Dritte erinnerte an das eines Reptils. Der Anblick dieses Wesen ließ Alexander das Blut in den Adern gefrieren. Und als ein seltsames Blubbern aus dem Schnabel der Kreature drangen, stürzte Alexander mit einem Schrei zurück in das Chaos der umgestürzten Bäume.

Er fand sich einige Minuten mit dem Gesicht in einer Schlammpfütze wieder. Es fand ihn in der gleichen Schlammpfütze. “” Ein Blubbern war alles was Alexander verstand. Erschrocken blickte er auf um zu sehen, dass sich das Wesen an einigen seiner Tentakel in einen Baum hinaufgezogen hatte. Er wollte wieder aufstehen und davon laufen, als das Wesen mit einem seltsamen Akzent mit ihm zu sprechen begann. “ Guten Tag. Ich bin Professor ... BlubbBlubb. Nun, ich bin mit meinem Schiff hier abgestürzt, wobei es eher eine Notlandung war.” Die Stimme des Professors war angenehm, nicht die eines Monsters und doch kam immer wieder nur ein seltsames Gurgeln aus dem was wohl so was wie ein Mund war. Alexander war noch schockierter als vorher beim Anblick der Kreatur. “ Bevor du etwas sagst. Ja, ich komme von den Sternen - von weit weit her. Aber ich bin keiner von deinen Göttern. Ich vermute es ist schwer für dich zu verstehen. Aber du kannst dir vielleicht vorstellen, dass genau wie eure Sonne, um andere Sterne auch Planeten kreisen. Und der … Berg dort ist so etwas wie ein Segelschiff nur ohne Segel und aus Stein.” “Wie, wie kannst du unsere Sprache sprechen?”, fragte Alex verwundert. “ Ich habe einfach einige der Bewohner eines Dorfes hier in der Nähe belauscht. Also machen wir weiter, wenn dir das hilft, so kannst du von mir als Freund deiner Götter denken. Ich bin sie in meinem Schiff besuchen gefahren. Aber das heißt nicht, dass du mich verehren musst.” “Oh, mir ist klar, dass es Leben auf anderen Planeten gibt. Unsere Götter leben ja auch auf dem Mond. Auch wenn das kein Planet ist” “Ja, nun genau. Auch wenn deine Götter wohl nicht wirklich existieren. Ich will da deinen Glauben nicht erschüttern, aber wir hatten jetzt schon das mit der Sonne und den Umlaufbahnen und den anderen Welten. Da kann ich dir das genauso gut sagen. Vielleicht kannst du so etwas wie eine Aufklärung beginnen. ” Professor BlubbBlubb machte eine Pause und zog dabei einen rechteckigen Zylinder aus Metall hinter seinem Rücken hervor. “Ich vermute nicht, dass ihr schon über gepresstes, fossiles organisches Material als Treib- und Brennstoff hinausgekommen seid?” “Du meinst so etwas wie Kohle?” “Ja, so etwas muss es dann wohl sein. Sag, was sind so gängige...” Doch bevor der Professor die Frage stellen konnte, unterbrach in Alexander. “Also das mit den Göttern siehst du falsch. Ich weiß ganz sicher, dass es die gibt.” “” Der junge Mann hatte sich aufgesetzt und lehnte jetzt an dem Stamm eines Baumes. “Es ist ja so. Niemand hier glaubt an die Götter. Es ist ja schließlich ganz klar, dass es sie gibt. Alle wissen das.” “Ja, ja. Nun. Ich wollte dir da gar nicht zu nahe treten. Jeder kann ja glauben an was er möchte”, sprach Professor BlubbBlubb so etwas wie eine Entschuldigung aus. “Nein, aber es ist wirklich kein Glaube. Jeder kann sie einfach sehen...” “Stimmt, stimmt. Da bin ich mir sicher. Wenn im Frühjahr der Winter verschwindet. Oder wenn Blitze durch den Himmel zucken. Oder auch wenn...” Doch Alexander hörte der Aufzählung des Fremden nicht weiter zu, er hatte schon weiter gesprochen. “... einfach nur indem man mit einem Fernrohr den Mond betrachtet. In nicht einmal zwei Stunden kann ich es dir beweisen, wenn der Mondpalast von der Sonne, die hinter der Erde steht, beleuchtet wird. Das mit dem Planeten, der um die Sonne kreist, gehört auf unserem Planeten zur Allgemeinbildung”, fügte er dann noch hinzu. Das Ding sollte ruhig wissen, dass sie hier auf Reed, keine unwissenden Wilden waren. Der Professor wiederum fühlte sich herausgefordert. Hätte es nicht schon vor seinem Absturz all seine Sensoren verloren, wäre es sehr einfach gewesen, diese absurde Theorie von den Göttern auf dem Mond zu widerlegen. “Gut”, sagte es stattdessen. “Dann finden wir es doch heraus. Ich habe eines der alten optischen Teleskope. Eigentlich nur eine Reliquie und ein Erbstück von meinen Vortentaklern. Gehen wir.” Das Wesen schwang sich von Baum zu Baum auf den Berg zu, der für Alexander noch gestern ein Fels gewesen war und der sich im Laufe einer Stunde erst als gewaltiger Koloss und dann als Raumschiff herausgestellt hatte. Dem jungen Mann blieb nichts anderes übrig, als dem Außerweltlichen zu folgen. Wobei eigentlich schon, aber dazu hätte er sich wohl anders entscheiden müssen und nicht seiner Neugierde nachgehen müssen. Wer würde das in einer solchen Situation schon tun, besonders wenn ein Disput zu klären war.

Teil 3 - Der Mondtanz

“Nun, wie du siehst funktioniert das Fernrohr vollkommen einwandfrei. Ein guter Blick auf eurem Nachbarplaneten.” Alexander starrte schon seit drei Minuten durch das Teleskop. Eilig hatte er sein Notizbuch herausgeholt und war dabei eine hässlich ungelenke Zeichnung anzufertigen. “Was machst du den da? ” Einer der Tentakel des Professors schoss vor und drückte auf eine Erhebung an der Seite des Teleskops. Ein Wirren und Sirren drang aus dem Apparat und ein Bild landete in Alexanders Händen. Es stellte die Oberfläche der Photos genauer da, als er es je gesehen hatte. Ein Bild der Wirklichkeit als sei diese ausgeschnitten und auf Papier gebannt. "Das ist eine. Hm. Photografik. Ja, so könnte man es wohl in deiner Sprache nennen." "Weil es eine Art Zeichnung des Planeten Photos ist?" "Ja, genau. Das sollte doch Sinn machen. " Alexander verstaute das Bild in seinem Notizbuch. “Das sollte für meine Aufgaben über dem Sommer hinweg ausreichen.” “Ja, schön. Freut mich. Kommen wir zu Wichtigerem”, verkündete BlubbBlubb und richtete nach Augenmaß das Teleskop mit seinem Tentakel neu aus auf den Mond. Weiß reflektierte die steinerne Oberfläche das Licht der Sonne. Schatten loderten in den Kratern. Noch gewaltiger der Schatten des Planeten, der einen Teil des Mondes verdunkelte. Und dort am Randes des Schattenkegels lag der Palast. Alex fokussierte das Fernrohr genauer, drehte wie es ihm der Professor gezeigt hatte an den Rädchen herum, bis das Bild scharf genug war. “Nun wie ihr seht hatte ich Recht. Ihr könnt euch selbst davon überzeugen.” “”, blubberte der Außerirdische bevor er den freigewordenen Platz am Teleskop einnahm. BlubbBlubb betrachtete den Mond lange. Eine ganze Weile machte er kein Geräusch, bevor er wieder einmal zu blubbern begann. Schließlich löste der Professor sich von dem Anblick des Palastes und des Mond. “Schön und gut. Aber ich vermute nicht, dass du auch einen Weg weist mit ihnen zu kommunizieren?”

BlubbBlubb hielt erneut in den komplizierten Bewegungen inne. Die Tentakel, die er als Arme verwendete, fuhren in komplexen Mustern durch die Luft, doch seine vier Beine hatten aufgehört das Muster auf dem perfekten Kreis nachzulaufen. Auch die zwei Stielaugen waren nun wieder auf Alexander gerichtet. “Und es steht dort wirklich genau so? All diese komplizierten Bewegungen? Für sechs Gliedmaßen und zwei Augenstiele?” “Naja, so beschreibt es das Buch”, antwortete Alexander genauso verwirrt. Ein Tentakel legte sich um das Buch und BlubbBlubb zog es zu sich heran. Er drehte es vor seinen Gesicht und betrachtete es genau. Blätterte durch einige der Seiten. Las den Titel noch einmal und starrte dann noch einige Sekunden auf den dunkelgrünen Einband. Es war nicht mit all seinen Augen wahrzunehmen. Doch welchen Vorteil sollte das komplexe Geflecht an Sinnesorganen dienen, wenn nicht um Licht des gesamten Spektrums wahrzunehmen? Da war etwas. Ein tiefblaues Leuchten, dass mit dem Buch verwoben schien und für dass es keine offensichtliche Quelle gab - den es ging nicht direkt von dem Buch selber aus. “Wo hast du es noch einmal genau her?” “Also...” Alexander wusste noch genau, wo er es gefunden hatte und wann. “Naja, an dem Abend als ich dein Raumschiff habe abstürzen sehen...” “...kontrolliert notgelandet...” “... da habe ich es danach in der Bibliothek gefunden. Und irgendwas hat mich bewogen es mitzunehmen.” “Sehr, sehr seltsam”, murmelte BlubbBlubb, bevor er den komplizierten Tanz fortsetzen. Alexander war froh, dass er nicht alle Ereignisse dieses Abends wiedergeben musste.

Die Erscheinung in der Mitte des Kreises sah die beiden gelangweilt und auch etwas genervt an. “Ja, was kann ich für euch tun?”, fragte das junge Mädchen in dem blauen Kleid. Ihre Stimme verwirrte Alexander. Es war die Stimme eines Mädchens. Aber gleichzeitig wirkte sie uralt und als habe sie schon eine Ewigkeit gelebt. “.” Das Mädchen mit den tiefblauen Augen, verzog ihr Gesicht zu einem schwachen Lächeln. “”, antwortete sie dem Professor in seiner Sprache. “Ich bin Tynche. Göttin des Mondes, der Magie, des Tyncheblaues, des Schicksals, der Spiegelung des Lichts auf dem Wasser in einer Vollmondnacht und was auch immer den anderen einfällt noch auf mich zu übertragen.” Professor BlubbBlubb blubberte auf eine Art, die das Äquivalent eines Räusperns war. “Ich bin Professor BlubbBlubb von einem Planeten weit, weit entfernt. Ich bin leider hier auf eurer Welt gestrandet und bräuchte einige Unterstützung. Wäre es vielleicht möglich...” “Ja, ja. Hat ja wirklich lange genug gedauert. Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit und wirklich viel anderes zu tun.” Sie schnippte mit den Fingern. Es gluckerte kurz in dem Kanister, der hinter Alexander und dem Professor im Gras stand. “Also. Das sollte reichen um dein kleines Shuttle bis zu deinem Planeten zu bringen. Ich überbringe natürlich Grüße und all das von meinem Vater. Hoffe, dass du vielleicht auf einen weiteren Besuch wiederkommst und dann bis dahin auf Wiedersehen.” Genauso schnell wie sie aufgetaucht war, verschwand sie auch wieder. Als letztes der stechende Blick der tyncheblauen Augen, der Alexander einen unangenehmen Schauer über den Rücken laufen ließ. Professor BlubbBlubb blubbte vor sich hin.

Am nächsten Tag verabschiedeten sich die beiden voneinander. Der Professor hatte alles wichtige in das Shuttle geladen und den Rest in eine Kammer tief im Inneren des Schiffes gesteckt. Die Wände waren versiegelt und von außen war nicht einmal zu erkennen, dass die Kammer existierte. Jetzt standen die beiden vor dem viel kleineren Schiff und gaben sich die Hand und den Tentakel. “Ich hätte da eine Bitte an dich. Vielleicht könntest du auf das Schiff ein bisschen aufpassen? Ich lasse dir das Teleskop da und habe die große Kuppel auf transparent gestellt. Es wäre Schade, wenn es so ganz ungenutzt vor sich hin rottet.” “Natürlich. Hat das Schiff eigentlich einen Namen?” “Einen Namen? Nein, natürlich nicht. Gebt ihr euren Schiffen etwas so etwas?” “Natürlich. Jedem einzelnen.” “Nein, wir pflegen keine emotionale Bindung zu Fortbewegungsmitteln. Fehlt nur noch, dass ich meine persönliche Unversehrtheit daran binden müsste.” “Also Kapitäne auf unserer Welt gehen mit ihren Schiffen unter.” “ Ich vermute nicht, dass wir uns je wiedersehen. Die Lebenserwartung deiner Art ist ja so schrecklich kurz. Aber vielleicht sehe ich irgendwann einen deiner Nachfahren. In diesem Sinne wünsche ich auf ein baldiges Wiedersehen mit einem Teil deines Erbgutes.” “Ja, ähh. Gleichfalls, schätze ich mal.” Der Professor wackelte auf seinen Tentakeln die Rampe in das Schiff hinauf. Doch bevor er ganz oben angekommen war, drehte er sich noch einmal um. “Wenn du willst, gib ihm doch einen Namen”, rief er den jungen Mann zu bevor er mit einem Winken im Inneren des Gefährts verschwand.

Es dauerte noch einige Jahre bis Alexander einen fand. Erst nachdem er eine Adelstitel erlangte, sich verliebte, sich entliebte um sich kurz darauf wieder zu verlieben. Erst als Alexander - nun “von” - Witbold seine Liebe für Botanik entdeckte - die sich von der vorherig erwähnten unterscheidet - gelangte das namenlose Schiff zu den Namen unter dem es - nun nur noch ein Herrenhaus - in der gesamten Welt bekannt sein sollte: Gardōnhall.

“<...>” zeigt an, dass ein Charakter in einer anderen Sprache spricht. In diesem Fall in Hexae Linguae.